Tahsin Dag stellt mit seinem Unternehmen Papacks nachhaltige Verpackungen her. Was vor zehn Jahren in einer Garage begann, ist inzwischen eine Erfolgsstory. Ein Besuch in der Zukunft der Verpackungsindustrie am Firmensitz in Köln.
Aufgeräumt: Tüftler Tahsin Dag und sein Unternehmen Papacks halten bereits 60 Patente für nachhaltige Verpackungen.
Massenproduktion: Mehr als 3.500 Tonnen Plastik hat Papacks schon durch nachhaltige Alternativen ersetzt.
Die schneeweiße Box, die Tahsin Dag während des Gesprächs stolz auf den Tisch stellt, ist knapp so groß wie eine Zigarettenschachtel. Sein neuestes Vorzeigestück. Wenn alles läuft wie geplant, wird in ein paar Wochen ein großer US-Konzern seine Minzdragees und Kaubonbons darin verkaufen. Der elliptische Korpus und die angeraute Oberfläche haben eine angenehme Haptik. Der aufgesteckte Verschlussmechanismus wirkt hochwertig. Das Besondere daran: Nicht ein Teil der Box ist aus Kunststoff, noch nicht einmal die wasserfeste Beschichtung. Die Dose besteht komplett aus Pflanzenfaserstoffen, die vollständig wiederverwertbar sind. „Ich habe nichts gegen Plastik“, sagt Dag. „Ich finde es nur wenig nachhaltig, wenn es als Einmalartikel zum Beispiel für Verpackungen verwendet wird und dann häufig sehr umweltschädlich entsorgt werden muss.“
Dag ist in Europa so etwas wie ein industrieller Pionier für wiederverwendbare Verpackungen. Seinen Angaben zufolge gibt es nicht mal ein halbes Dutzend Hersteller, die sich wie er auf die Technik des Fasergusses spezialisiert haben. Dabei werden Fasern, meist Zellulose, mit Wasser gemischt, in Formen gedrückt und dann getrocknet. Noch bedient Dag mit seiner vor zehn Jahren gegründeten Firma Papacks einen Nischenmarkt. Doch das beginnt sich gerade zu ändern.
Einer Studie der Beratungsgesellschaft EY zufolge bereitet die Plastikverschwendung 65 Prozent der Konsumenten in Deutschland und 73 Prozent weltweit am meisten Sorge, noch vor dem Klimawandel. Gleichzeitig ist Deutschland Vorreiter beispielsweise bei wiederverwendbaren Einkaufstüten. 75 Prozent der Deutschen geben an, bei jedem Einkauf statt einer Einwegtüte eine nachhaltige Alternative zu benutzen – 21 Prozent mehr als im weltweiten Durchschnitt.
Rückenwind bekommen Dags nachhaltige Verpackungen außerdem von einer anstehenden Reform der Plastiksteuer. Im Koalitionsvertrag haben SPD, FDP und die Grünen vereinbart, die Kosten für nicht recycelte Verpackungsabfälle, die bislang der Steuerzahler trägt, auf die Hersteller und die Verpackungsindustrie umzulegen. Allerdings ist die Umsetzung des Koalitionsbeschlusses noch nicht geklärt. Dennoch dürfte die Regierung darauf aus sein, den Anreiz für Industrie und Handel zu steigern, in kompostierbare, plastikfreie Verpackungen zu investieren. Weil sich Kundenströme ändern und sich das Einkaufsverhalten nach der Pandemie wieder neu sortiert, machen zudem immer mehr Investoren Druck auf die Produzenten, ihre Logistikprozesse nachhaltiger aufzustellen. Das freut Dag: „Die Konzerne selbst haben bislang nicht die Kosten für Verpackung und deren Nachhaltigkeit hinterfragt.“
Dag sieht zusätzlich gesetzlichen Änderungsbedarf: „In dieser Form ist die Plastiksteuer eine Fehlkonstruktion. Auch eine beschichtete Verpackung, etwa bei Lebensmitteln, zählt als nachhaltig, wenn sie zu mehr als 50 Prozent aus natürlichen Rohstoffen besteht. Die enthaltenen Folien müssen aber aufwendig getrennt und entsorgt werden.“ Zudem gibt es keine verbindliche Definition von Biokunststoffen. Nur weil ein Kunststoff aus biologischen Rohstoffen besteht, heißt das nicht zwangsläufig, dass er auch biologisch abbaubar ist.
Der Markt für Verpackungsmaterialien ist groß. Nach Zahlen des Branchenverbands GADV wurden im vergangenen Jahr allein in Deutschland rund 15,8 Milliarden Euro mit Kunststoffverpackungen umgesetzt. Ein Großteil davon wird in der Lebensmittelindustrie für die Verpackung des Produktes selbst verwendet: Frischwaren wie Wurst und Käse zum Beispiel, die in Folien eingeschweißt sind, aber auch abgepackte Nudeln oder Filterkaffee. Seltener zu sehen bekommen Verbraucher die Mengen an Folien, Warenträgern und Kartonagen, die für den Transport von Waren zwischen Unternehmen und an die Verkaufsstandorte verwendet werden. „In meiner Zeit als Infrastrukturmanager bei einem namhaften Energy-Getränkehersteller habe ich das mal grob zusammengerechnet: Für den Transport der damaligen Jahresproduktion von 5,5 Milliarden Dosen ist so viel umweltschädliche Polyethylenfolie verwendet worden, dass man damit zweimal den Äquator hätte einwickeln können“, erzählt Dag.
Er will einen Gegenentwurf zum ressourcenintensiven Wirtschaften mit Verpackungsmaterialien zeichnen. Dag kündigt seinen gut bezahlten Job und fängt 2012 in einer kleinen Garage in Köln an, mit Rezepturen und Prozessen zu experimentieren. Es ist der zweite harte Bruch in seiner Vita. Kurz vor dem Abitur hatte er zum Missfallen seiner Eltern die Schule geschmissen, um nur mit einem Koffer in der Hand nach Köln zu ziehen. Dort verdient er sich zunächst mit Jobs in der Gastronomie seinen Lebensunterhalt, ehe er in die Getränkeindustrie wechselt. Als er sich selbstständig macht und seine alten Kontakte wegen Aufträgen anfunkt, erntet er zunächst Kopfschütteln. „Für Nachhaltigkeit und Recycling hat sich damals aus der Branche niemand interessiert, und teilweise ist das auch heute noch so“, beklagt der Unternehmer, der regelmäßig Anfeindungen von Wettbewerbern erlebt. „Die ganze Verpackungs- und Recyclingindustrie hat keine Lust auf Innovatoren. Denn es kostet viel Geld, Prozesse zu ändern. Im Ergebnis sind die Player in der Branche strukturkonservativ und möchten am liebsten so weitermachen, wie sie es seit Jahren kennen, statt neue Wege zu gehen.“
Doch Dag lässt sich nicht beirren und meldet schon bald sein erstes von inzwischen 60 Patenten an: ein aus Recyclingkarton hergestelltes Transportgebinde, das einfach stapelbar war und in dem zum Beispiel Dosen oder Glasflaschen vom Hersteller zum Abfüller transportiert werden konnten. „Das Material war allerdings für weitere Transporte nicht wiederverwendbar und vergleichsweise schwer, sodass es nach einmaligem Gebrauch nur dem Altpapierkreislauf zugeführt werden konnte“, erzählt Dag. „Ich aber wollte mit meiner Idee die Kreislaufwirtschaft voranbringen.“ Also tüftelt er weiter an Verpackungen, die nicht nur kompostierbar sind, sondern auch aus vollständig wiederverwendbaren Materialien bestehen. Gleichzeitig sollen sie auch hohen Anforderungen wie etwa in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie gerecht werden. Erste Anfragen gab es in dieser Zeit immer wieder. Doch aufgrund des vergleichsweise hohen Preises gegenüber Kunststoffverpackungen hatten sich diese schnell erledigt – auch weil Plastik damals noch lange nicht so argwöhnisch betrachtet wurde wie heute. „Mein Erspartes war ziemlich schnell weg, und ich hatte zeitweise einen leeren Kühlschrank und keinen Strom“, sagt Dag. „Doch ans Aufgeben habe ich nie gedacht.“
Das Durchhaltevermögen wurde belohnt. 2016 kreierte er mit der Störtebeker Braumanufaktur eine wiederverwendbare Transportverpackung, die aussah wie die Elbphilharmonie. Sobald das Bier ausgepackt war, ließ sich eine Lampe hineinsetzen: eine Mini-Elbphilharmonie für zuhause. „Das war der Durchbruch. 2016 hat Papacks seine erste Million gemacht“, sagt Dag. Heute zählen Großkonzerne wie Melitta, Coty und Keurig Dr. Pepper zu seinen Kunden.
Fast jeden Monat trudelt ein Kaufangebot bei ihm ein. Doch davon will er nichts wissen. Für zu groß hält er die Gefahr, dass sein Lebenswerk in einem Konzern untergeht. Stattdessen hat er sich vor einigen Jahren einen Teilhaber an Bord geholt, mit dem zusammen er seine Ideen nachhaltig weiterentwickelt. Basis für seine Rezepturen sind schnell nachwachsende Hanffasern. In einer Fallstudie mit dem Kosmetikhersteller Coty hat Papacks einen Kreislauf für Transportverpackungen untersucht. Der Lieferant bekommt die Fasergussverpackungen zur Verfügung gestellt, Coty schreddert diese nach der Anlieferung. Die Reste werden in einem Faserdepot gesammelt und dann wieder in die Produktion gebracht. „Das sind hochwertige Fasern, die immer wieder verwendet werden können“, erklärt Dag seinen Ansatz.
Für seine Fabrik, die Papacks Gigafactory im thüringischen Arnstadt, eine der größten für faserbasierte Verpackungen in Europa, gibt es dafür große Becken, in denen seine Mitarbeiter Fasern und Wasser nach seinen Vorgaben miteinander mischen. Die Masse wird in individuelle Formen gesaugt, ausgeprägt, anschließend getrocknet und, falls vom Auftraggeber vorgegeben, mit der eigenen organischen Beschichtung versehen. Das Sortiment ist inzwischen breit: Adventskalender, Nachoschalen für Kinos, Lebensmittel-, Kosmetik-, Transport- und Produktverpackungen. Damit peilt er für das Jahr 2022 einen Umsatz von zehn Millionen Euro an. Angaben zum Gewinn macht er keine. Angesichts der derzeitigen Auftragssituation, vor allem im Bereich der Entwicklungen für namhafte Konzerne, sieht die Umsatzplanung für die Folgejahre eine Vervielfachung des aktuellen Umsatzvolumens vor.
Einen weiteren Wachstumsimpuls bringt darüber hinaus das Granulat, das Dag zusammen mit dem Partnerunternehmen Periplast entwickelt hat. Damit kann er auch harte Gewerkteile formen, die genau die gleichen Eigenschaften haben wie ein entsprechender Kunststoff. So kann er direkt im Herstellungsprozess auf Flaschenkörper aus weichem, eher pappartigen Material ein festes Gewinde integrieren und mit einem Deckel verschließen. Damit hat der Unternehmer eine nachhaltige Alternative zum Beispiel zu Getränkedosen oder -flaschen aus PET im Programm. Im nächsten Schritt will er Glasverpackungen ins Visier nehmen.
Für seine Arbeit ist Dag vielfach mit Preisen ausgezeichnet worden – zuletzt von der Jury des Wettbewerbs „Wirtschaft im Wandel“, den die Rheinische Post mit der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ und dem General-Anzeiger Bonn ausrichtet. Auch die Politik gibt sich bei ihm die Klinke in die Hand. So hat Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt beim Bau seiner zweiten Fabrik in Arnstadt vorbeigeschaut und Bundesumweltministerin Steffi Lemke am Firmensitz in Köln. Vielleicht kann Dag dem nächsten hochrangigen Besuch, der sich bei ihm ankündigt, dann schon ein Minzbonbon aus seiner Vorzeigebox anbieten.
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